Keine Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils

Keine Generalisierung positiver Ergebnisse aus empirischen Forschungen zum Wechselmodell!

Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichtes vom 07.04.2016, Az. 2 UF 651/15

Vorinstanz: AG Erfurt Az: 32 F 216/15

Mit Beschluss vom 07.04.2016 hat der 2. Senat des OLG Jena in Sachen Wechselmodell eine aktuelle Entscheidung getroffen. Ausgangspunkt war die Beschwerde des Kindesvaters, welcher einen in der Vergangenheit gelebten Umgang in Form eines nahezu paritätischen Wechselmodells weiterhin praktizieren wollte. Im Verfahren vor dem Familiengericht in Erfurt schlossen die Parteien eine Vereinbarung, wonach beide Elternteile sich einig waren, dass der Lebensmittelpunkt des gemeinsamen Kindes bei der Kindesmutter sein sollte. Der Vater sei aber berechtigt, mit dem Kind im 14-tägigen Rhythmus jeweils von Dienstag nach der Schule bis zum darauf folgenden Montag vor der Schule Umgang zu haben. Die Kindesmutter hat diese Vereinbarung jedoch im Nachgang widerrufen. Im Großen und Ganzen hat sich die Kindesmutter darauf berufen, dass die Anhörung des Kindes ergeben hätte, dass der Umgangsrhythmus von einer Woche zu lang sei. Im Weiteren habe sie sich darauf berufen, dass sie während bestehender Ehe die Hauptbezugsperson des Kindes gewesen sei und eine sehr enge emotionale Bindung zum Kind habe. Der ehemals durchgeführte Umgangsrhythmus habe sich auch in der Vergangenheit bewährt.

Dem ist der Kindesvater entgegengetreten und hat ausgeführt, dass es der ausdrückliche Wunsch des Kindes sei, mehr Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Das Amtsgericht Erfurt hat die angefochten Umgangsregelung getroffen, wonach der Kindesvater berechtigt ist, mit dem Kind in jeder geraden Kalenderwoche jeweils von Donnerstag nach der Schule bis Montag zu Schule Umgang zu pflegen sowie in jeder ungeraden Kalenderwoche jeweils von Donnerstag nach der Schule bis Freitag zur Schule Umgang zu haben. Als Begründung hat es ausgeführt, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung das Wechselmodell nicht gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden könne.

Gegen diese Entscheidung hat der Kindesvater Beschwerde eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Ziel auf Anordnung eines Wechselmodells weiter verfolgt.

Das OLG Jena hielt die Beschwerde gem. § 58 FamFG für statthaft und zulässig. In der Sache hatte die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

In seiner Entscheidung hat das OLG Jena ausgeführt, dass es in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei, ob die Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils überhaupt rechtlich zulässig ist und ob insbesondere § 1684 Abs. 3 BGB eine Rechtsgrundlage hierfür bilden kann, oder ob, wenn überhaupt, nur die Möglichkeit bestünde, über Maßnahmen im Rahmen des Sorgerechts ein Wechselmodell einzurichten. Das OLG hat weiter ausgeführt, dass unabhängig von der Frage, ob die Einrichtung eines Wechselmodells rechtlich überhaupt – und wenn ja – auf der Grundlage von § 1684 BGB oder von § 1671 BGB bzw. § 1696 BGB erfolgen kann -, der Vater durch seinen Hilfsantrag in erster Instanz deutlich gemacht hat, dass er – gleich auf welcher Rechtsgrundlage – jedenfalls die gerichtliche Festlegung eines Wechselmodells anstrebt.

Das Gericht hält die Voraussetzungen hierfür jedoch als nicht gegeben. Hierzu führt es aus:

Bei einer danach zu treffenden Entscheidung ist stets ausschlaggebend, welche Entscheidung dem Wohl des Kindes förderlich ist (§§ 1671 Abs. 1 Nr. 2, 1697a BGB). Ob und inwieweit die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils dem Kindeswohl förderlich ist oder nicht, ist in der Fachliteratur umstritten. Während teilweise unter Berufung auf empirische Studien vertreten wird, dass das Wechselmodell regelmäßig dem Kindeswohl am besten gerecht werde und die ablehnende Haltung der obergerichtlichen Rechtsprechung weitgehend durch Vorteile zu erklären sei (vgl. Hildegrund Sünderhauf, Wechselmodell: Psychologie – Recht -Praxis, 2013; dies., Vorurteile gegen das Wechselmodell: Was stimmt, was nicht? – Argumente in der Rechtsprechung und Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung, FamRB 2013, 290 ff. und 327 ff.), wird von sachverständiger Seite überwiegend betont, dass eine differenzierte Betrachtung erforderlich sei und nicht vorschnell unterstellt werden dürfe, dass das Bedürfnis von Eltern, das Kind gleich untereinander aufzuteilen, dem Wohl des Kindes am besten entspreche (vgl. zuletzt Salzgeber, Das Wechselmodell, NZFam 2014, 921; ferner Kostka, Das Wechselmodell, Forschungsergebnisse aus den USA, FPR 2006, 271; Fichtner/Saltgeber, Gibt es den goldenen Mittelweg? Das Wechselmodell aus Sachverständigensicht, FPR 2006, 278; Ballloff, Wechselmodell und Erziehungsfähigkeit, FPR 2006, 284; Unzner, Bindungstheorie und Wechselmodell, FPR 2006, 274; zur aktuellen Entwicklung der Gesetzgebung im Ausland unter Berücksichtigung und empirischer Erkenntnisse zur Durchführung des Wechselmodells Kostka, Das Wechselmodell als Leitmodell? in Streit 2014, 147). In seinem Beschluss führt das OLG aus, dass es sich trotz zahlreicher empirischer Studien insbesondere aus dem Ausland insgesamt feststellen lässt, dass die empirische Forschung noch keine wissenschaftlich tragfähigen Aussagen dazu macht, welche Betreuungsregelung für das Kindeswohl am besten ist; vielmehr kann sie nur Hypothesen anbieten, gerade im Blick darauf, wo es zu Konflikten und Belastungen für das Kind kommen kann (Salzgeber, NZVFam 2014, 921, 924). Besonders in Fällen hochkonflikthafter Familien ist besondere Vorsicht angebracht, weil Kinder regelmäßig gerade im Falle des Wechselmodells besonders belastet werden, (vgl. Kostka, Streit 2014, 147, 151 f.; Salzgeber, NZVFam 2014, 921, 924). Dabei wird auch darauf verwiesen, dass die meisten empirischen Studien zu durchgeführten Wechselmodellen sich nicht mit hochkonflikthaften Familien befassen, weswegen die positiven Ergebnisse der empirischen Forschung zum Wechselmodell nicht generalisiert werden können. Mittlerweile sei eine starke Tendenz erkennbar, das Wechselmodell nicht mehr im Regelfall, sondern nur nach konkreter Würdigung im Einzelfall anzuordnen. Ausschlaggebend ist, dass ein Risiko darin besteht, wenn die Eltern zueinander nicht wenigstens eine neutrale Haltung einnehmen. Wenn bsw. das Vertrauen in die Erziehungskompetenz des anderen und die Unterstützung durch andere Familienmitglieder fehlen. Das OLG führt weiter aus, dass Sünderhauf bemüht sei, darzustellen, dass die von ihr als empirische Belege herangezogenen Studien ergeben hätten, dass im Wechselmodell der Konflikt zwischen den Eltern geringer und die Situation für die Kinder günstiger sei. Daraus folgert sie, dass das Wechselmodell auch im Konfliktfall das beste Modell zum Aufenthalt des Kindes sei. Das OLG stellt aber nunmehr klar, dass die Ausführungen von Sünderhauf nicht erkennen lassen, ob die Studien auch belegen, dass das Wechselmodell zu geringeren Konflikten führt, oder ob nicht vielmehr Gegenstand der Studien Familien mit geringem Konfliktpotenzial waren. Immerhin befassen sich die empirische Studien regelmäßig nicht mit hochkonflikthaften Familien. Dann aber wäre die Übertragung der Ergebnisse auf hochkonflikthafte Familiensituation unzulässig (vgl. auch Salzgeber, NZVFam 2014, 921, 927). Das Gericht führt weiter aus, dass eine deutsche empirische Studie existiert (Frigger, Heute hier, morgen dort? – Das Wechselmodell im Familienrecht, 2008), die für die Kinder hochkonflikthaft verbundener Eltern die Situation im Wechselmodell als deutlich belastender darstellt. Auch Kostka entnimmt daher den bisherigen begrenzten Erkenntnissen aus der Forschung, dass ein Wechselmodell nur dann funktionieren kann, wenn es kindzentriert ist und flexibel und kooperativ gehandhabt wird. Das sei am ehesten bei Eltern zu finden, die sich privat ohne Anwalt und Gericht für ein Wechselmodell entscheiden und dieses dann flexibel entsprechend den Bedürfnissen des Kindes handhaben. (Kostka, Streit 2014, 147, 148).

Im Ergebnis hält der Senat daher daran fest, dass gegen den Willen eines Elternteils grundsätzlich das Wechselmodell nicht angeordnet werden kann. Die vom Vater erstrebte Regelung eines Wechselmodells kann mithin nicht angeordnet werden, weil dies die Zustimmung der Mutter verlangt, die hiermit aber nicht einverstanden ist (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2012, 1883; OLG Naumburg, FamRZ 2014, 50 und KG, FamRZ 2 014,50).